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Great 10/10/10 review in Klassik Heute (D)

August 22, 2024

Thomas Baack

Klassik Heute (D)
10/10/10
Künstlerische Qualität:

Klangqualität:

Gesamteindruck:

Johann Sebastian Bachs sechs Suiten für Violoncello BWV 1007-1012 könnte man als seine „Italienischen Suiten“ bezeichnen, wäre da nicht die ausgesprochen stark französelnde Fünfte. Besser trifft es als Analogon zum Wohltemperierten Klavier der Pianisten wahrscheinlich „Das Alte Testament der Cellisten“. Doch anders als bei diesem, steht hier ein Neues Testament noch aus. Somit verwundert es nicht, dass jeder Cellist von Rang diese sechs – von Pablo Casals dem Konzertrepertoire wieder zugeführten – Zyklen auf Tonträger verewigen möchte. Henrik Dam Thomsen war sich der Verantwortung derart bewusst, dass er bald 50 Jahre wartete, seine reichen Erfahrungen mit diesen Stücken zu dokumentieren.
Ein rätselhafter Zyklus
Bachs Cello-Suiten geben dem Interpreten zweierlei Rätsel auf:
1. Welche der beiden zeitgenössischen Abschriften – ein Autograph ist nicht erhalten – mache ich zur Grundlage meiner Interpretation, diejenige von Ehefrau Anna Magdalena oder die von Johann Peter Kellner, die eine Menge zusätzlicher Verzierungen und eine andere Setzung der Bindebögen aufweist?
2. Für welches Instrument sind die Stücke überhaupt komponiert, bzw. was verstand man zu Bachs Zeiten unter einem Violoncello?
Bachs Vetter, Freund und Kollege aus Weimarer Tagen, Johann Gottfried Walther schreibt 1732 in seinem Musicalischen Lexikon dazu: „Violoncello, die Bassa di Viola und Viola di Spala sind kleine Baß-Geigen, in Vergleichung der größeren mit 5, auch wohl mit 6 Saiten, worauf man leichtere Arbeit als auf den großen Maschinen allerhand geschwinde Sachen, Variationes und Manieren machen kan; insbesonderheit hat die Viola di Spala oder Schulter-Viole einen großen Effect beim Accompagnement, weil sie starck durchschneiden und die Töne rein exprimiren kann. Sie wird am Bande an der Brust befestigt, und gleichsam auf die rechte Schulter geworfen, hat also nichts, das ihren Resonanz im geringsten aufhält und verhindert …“
Dies passt zu dem Faktum, dass Schulen für das zwischen den Knien gehaltene Cello erst um 1736 in Frankreich auftauchen. Auch sprachlich ergibt es Sinn. Viola (da braccio) wurde zum italienische Name für die mittelalterliche Fidula/Fiedel, deren tiefste Saite auf c° gestimmt wurde. Die Verkleinerungsform lautete Violino (die heutige Geige), die Vergrößerungsform Violone (Bass-Geige). Diese existierte sowohl als 8‘-Instrument (vergleichbar dem heutigen Cello) und ein Oktave tiefer als 16‘-Instrument. Somit war es logisch, einen kleinen geschulterten 8‘-Violone als Violoncello zu bezeichnen.
Somit ist es wahrscheinlich, dass Bach die Cello-Suiten – hervorragender Geiger und Bratscher, der er war, wie seine Zeitgenossen versichern, wohl auf einer Viola da Spalla oder auf der von ihm beim sächsischen Hofinstrumentenmacher Johann Christian Hoffmann als deren Verbesserung beauftragten Viola Pomposa selbst gespielt hat. Zudem waren die nach ihm als Kapellmeister am Köthener Hof bestbezahlten Musiker der Cellist und der Gambist, was darauf schließen lässt, dass sein Dienstherr sonore Streicherklänge schätzte und die Instrumente womöglich selbst spielte und auch, dass Inventare aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sie noch aufführen.
Stilistische Gründe sprechen dafür, dass zumindest die ersten fünf Suiten zeitgleich mit den Englischen Suiten für Clavier sowie der Partita für Flöte BWV 1013 und wohl vor den Sechs Sonaten und Partiten für Violine BWV 1001-1006 entstanden sind. Bei der sechsten Suite mag es sich um einen Nachzügler handeln, da dieser ein fünfsaitiges Instrument und die Erfahrungen mit den Violinwerken voraussetzt. Bemerkenswert, dass sich Bach in den Cello-Werken streng an die klassische Reihenfolge „Prélude, Allemande, Courante, Sarabande Gigue“ hält und zwischen Sarabande und Gigue regelmäßig zwei gleichartige, alternierende „Galanterien“ (Menuett, Gavotte, Bourrée) einbindet.
Gelungene Interpretation
Henrik Dam Thomsen legt seiner Interpretation die Fassung Anna Magdalena Bachs zugrunde, die allgemein als die bessere Lesart gilt. Sie ist, da wohl vom Autograph kopiert, mit nur wenigen Verzierungen versehen. Bei Kellners Abschrift könnte man vermuten, dass seine Vorlage aus der Köthener Hofmusik stammte und daher die zusätzlichen Ornamente aufweist. Vom Komponisten wissen wir, dass er Standard-Verzierungen in seinen Manuskripten ausließ, sie aber seine Schüler in deren Kopien sorgfältig eintragen ließ. Als Beispiele seien hier die Abschriften der Französischen Suiten (J. N. Gerber) und der Orgel-Canzona in d-Moll angeführt. Hier hätte man mehr machen können, wenngleich sich dies bei einer CD-Einspielung – anders als im Konzert – schnell abnutzen kann. Deshalb ist diese Entscheidung zu akzeptieren, zumal sich auch Sigiswald Kuijken in seiner Referenzaufnahme auf einem Violoncello da Spalla diesbezüglich arg zurückhält.
Ungemein positiv wirkt jedoch, dass Henrik Dam Thomsen sich um einen schlank-brillanten Ton bemüht, nichts verdickt und aufplustert, wie man es von vielen Cellisten der Vergangenheit kennt. Selbstverständlich ist die gerade in den Suiten 4 und 5 äußerst heikle Intonation makellos. Interessant, die Sechszehntelgruppen in der Allemande der c-Moll-Suite quasi inégal als Triolen nach vorn zu spielen. Alternativ hätte man auch zu einer sehr weiche Punktierung greifen können. Die souveränste Leistung gelingt Thomsen jedoch in der auf einen viersaitigen Instrument an die Grenzen der Spielbarkeit gehenden sechsten Suite. Dies so locker und elegant sowie ohne jeglichen Druck bis weit in die zweigestrichene Oktave hinauf mit dem Bass abzuliefern ist zweifellos eine Demonstration allerhöchsten Könnens. Er hat es eben nicht nötig, zu demonstrieren, dass jetzt etwas ganz Schwieriges kommt. Er macht ganz einfach Musik draus, egal wie viele Wut- und Verzweiflungsausbrüche es ihn gekostet hat, dahin zu gelangen. Generell zeichnet sich seine Deutung durch flüssige Tempi und wirkliches Tanzen aus. Wenn man bei einer Gavotte oder Bourrée mitwippt, weiß man, dass hier ein Cellist keine Charakterstücke zelebriert, sondern sich über die barocken Tänze genau informiert hat. Bravo!
Klang und Booklet – diesmal sogar mit deutschem Text – entsprechen dem hohen künstlerischen Niveau der Interpretation.
Fazit: Auch wenn für mich Sigiswald Kuijken mit seinem Violoncello da Spalla die Referenz ist, ziehe ich meinen Hut vor Henrik Dam Thomsen und versehe diesen Bach für das 21. Jahrhundert auf modernem Instrument mit einer definitiven Empfehlung. Den Praktikern sei darüber hinaus die exzellente synoptische Darstellung der frühen Quellen, die bei Bärenreiter erschienen sind, ans Herz gelegt.
Vergleichseinspielung: Sigiswald Kuijken Vc. da Spalla, Accent.
Thomas Baack [22.08.2024]
www.klassik-heute.de/4daction/www_medien_einzeln?id=24807

AI Translation into English

Johann Sebastian Bach's six suites for cello, BWV 1007-1012, could be called his "Italian Suites," if not for the distinctly French-influenced Fifth. A more fitting analogy might be "The Old Testament of Cellists," akin to the Well-Tempered Clavier for pianists. However, unlike the latter, a New Testament is still awaited. Therefore, it is no surprise that every cellist of note wants to immortalize these six cycles—which Pablo Casals reintroduced to the concert repertoire—on recordings. Henrik Dam Thomsen was so aware of the responsibility that he waited nearly 50 years to document his extensive experience with these pieces.

A Mysterious Cycle
Bach's cello suites pose two riddles for the interpreter:

1. Which of the two contemporary copies—an autograph has not survived—should form the basis of my interpretation, the one by his wife Anna Magdalena or the one by Johann Peter Kellner, which features many additional ornaments and a different arrangement of slurs?

2. For which instrument were the pieces actually composed, or what was understood by a "violoncello" in Bach's time?

Bach's cousin, friend, and colleague from his Weimar days, Johann Gottfried Walther, writes in his 1732 *Musicalisches Lexicon*: "The violoncello, the bassa di viola, and the viola di spalla are small bass viols, in comparison to the larger ones with 5, or perhaps 6 strings, on which one can perform lighter work, such as all kinds of fast pieces, variations, and manners, more easily than on the large instruments; in particular, the viola di spalla or shoulder viola has a great effect in accompaniment because it cuts through strongly and can express the tones purely. It is fastened to the chest by a band and thrown almost onto the right shoulder, so nothing hinders or prevents its resonance..."

This matches the fact that schools for the cello, held between the knees, first appeared in France around 1736. It also makes linguistic sense. The term "viola" (da braccio) became the Italian name for the medieval *fidula* or fiddle, whose lowest string was tuned to C. The diminutive form was "violino" (the modern violin), and the augmentative form was "violone" (bass violin). This existed both as an 8' instrument (comparable to the modern cello) and an octave lower as a 16' instrument. Thus, it was logical to call a small shoulder-mounted 8' violone a "violoncello."

It is therefore likely that Bach, an excellent violinist and violist as confirmed by his contemporaries, played the cello suites himself, perhaps on a viola da spalla or on the viola pomposa, an instrument he commissioned from Saxon court instrument maker Johann Christian Hoffmann as an improvement. Furthermore, the best-paid musicians at the Köthen court after Bach as Kapellmeister were a cellist and a gambist, suggesting that his employer valued rich string sounds, possibly played the instruments himself, and that inventories from the second half of the 18th century still list them.

Stylistic reasons suggest that at least the first five suites were composed at the same time as the English Suites for clavier and the Partita for flute BWV 1013, and likely before the Six Sonatas and Partitas for violin BWV 1001-1006. The sixth suite may be a later addition, as it requires a five-stringed instrument and reflects the experience gained with the violin works. It is noteworthy that in the cello works, Bach strictly adheres to the classical order "Prelude, Allemande, Courante, Sarabande, Gigue," regularly inserting two similar, alternating "galanteries" (minuet, gavotte, bourrée) between the Sarabande and Gigue.

A Successful Interpretation
Henrik Dam Thomsen bases his interpretation on Anna Magdalena Bach's version, which is generally considered the better reading. As it was likely copied from the autograph, it contains only a few ornaments. One might suspect that Kellner's copy came from Köthen court music, hence the additional ornaments. We know that Bach omitted standard ornaments in his manuscripts but had his students carefully add them in their copies. Examples include the copies of the French Suites (J. N. Gerber) and the organ Canzona in D minor. More could have been done here, although this can quickly become tiresome in a CD recording, unlike in a concert. Therefore, this decision is acceptable, especially since Sigiswald Kuijken also refrains from extensive ornamentation in his reference recording on a violoncello da spalla.

What is particularly positive, however, is that Henrik Dam Thomsen strives for a clear, brilliant tone, avoiding the thickening and exaggeration that many cellists of the past were known for. Naturally, the very delicate intonation in suites 4 and 5 is flawless. It is interesting to hear the sixteenth-note groups in the Allemande of the C minor suite played quasi inégal as triplets. Alternatively, a very soft dotted rhythm could have been used. Thomsen's most masterful performance, however, is in the sixth suite, which pushes the limits of playability on a four-stringed instrument. Delivering it so smoothly and elegantly, without any pressure, even into the highest octave, is undoubtedly a demonstration of the highest skill. He doesn't need to show off that something extremely difficult is coming up. He simply makes music out of it, no matter how many fits of rage and despair it may have cost him to get there. In general, his interpretation is characterized by fluid tempos and a genuine sense of dance. When you find yourself tapping along to a gavotte or bourrée, you know that this cellist is not just performing character pieces but is well-informed about Baroque dances. Bravo!

The sound quality and booklet—this time even with a German text—match the high artistic level of the interpretation.

Conclusion: Although for me, Sigiswald Kuijken with his violoncello da spalla remains the reference, I tip my hat to Henrik Dam Thomsen and give this Bach for the 21st century on a modern instrument a definitive recommendation. Additionally, I highly recommend the excellent synoptic presentation of the early sources published by Bärenreiter to practitioners.

Comparison recording: Sigiswald Kuijken, violoncello da spalla, Accent. Thomas Baack [22.08.2024]

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